Seit heute Mittag hat das frisch aufgehängte Wandbild an der Ecke Manteuffelstraße/Oranienstraße ein Loch und damit eine inhaltliche Lücke - der Satz "NSU: Staat und Nazis Hand in Hand" wurde von der Berliner Feuerwehr im Auftrag der Berliner Polizei aus dem Bild herausgerissen, ohne richterliche Anordnung. Das Wandbild erinnert an den Nagelbombenanschlag des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) auf die Kölner Keupstraße vor 10 Jahren. Es thematisiert das Verhalten der Ermittlungsbehörden nach dem Anschlag, die Hinweise auf einen rechtsterroristischen Tathintergrund systematisch ignorierten. Stattdessen ermittelten sie gegen die Anwohner_innen und Gewerbetreibenden der Keupstraße und drangsalierten sie jahrelang mit zweifelhaften Methoden.
Nicht erst seit dem NSU-Untersuchungsausschuss ist bekannt, dass ohne eine Zusammenarbeit der Behörden mit dem NSU dieser nicht über zehn Jahre hinweg Menschen mit Migrationsgeschichte hätte ermorden können.
Schon nach der Demonstration zum zweiten Jahrestag des Bekanntwerdens des NSU am 04.11.2013 versuchte die Berliner Polizei das ähnlich lautende Demo-Motto "NSU-Terror: Nazis und Staat Hand in Hand" zu kriminalisieren: eine Lautsprecheranlage wurde beschlagnahmt, ein Verfahren nach § 90a (Verunglimpfung des Staates) eingeleitet und mangels Erfüllung eines Straftatbestandes wieder eingestellt. Die Rechtswidrigkeit der Beschlagnahmung wurde gerichtlich festgestellt.
Heute hat dieselbe Polizeieinheit im Auftrag derselben Abteilung des Landeskriminalamtes - des polizeilichen Staatsschutzes - den Satz "NSU: Staat und Nazis Hand und Hand" aus dem Wandbild zensiert.
Die Personalien von Anwesenden wurden festgestellt. Zunächst behauptete die Polizei, das Bild sei ohne Erlaubnis der Hauseigentümer_innen angebracht worden. Die herbeigerufene Vertreterin der Wohnungsbaugenossenschaft bestätigte die ausdrückliche Genehmigung.
Erst daraufhin begründete die Polizei ihre Maßnahmen mit dem § 90a (Verunglimpfung des Staates) - wegen diesem werde jetzt ermittelt.
Die Polizei verlangte, die Zensur am Bild selbst vorzunehmen und die strittige Passage zu übermalen. Als keiner der polizeilichen Aufforderung nachkam, konnte auch ein herbeigeeilter Anwalt nicht verhindern, dass die Polizei eine Drehleiter der Berliner Feuerwehr anforderte.
Unter Missfallensäußerungen von Anwohner_innen fuhr ein Feuerwehrmann zum Bild hinauf, mit einem Messer bewaffnet und riss großflächig Teile des Bildes ab.
Ein Presse-Fotograf fotografierte diese Aktion. Daraufhin wurde er von der Polizei umstellt: Er solle seine Bilder zur Kontrolle vorzeigen. Als er sich weigerte, wurden seine Personalien festgestellt.
Wir verstehen die Zensur des Wandbildes als eine weitere Kriminalisierung politischer antirassistischer Arbeit. Die Benennung der Rolle des Staates innerhalb des NSU-Komplexes soll unterbunden werden. Allein dieses Vorgehen der Polizei gegen kritische Stimmen zeigt, dass die zensierte Aussage aktueller und berechtigter ist denn je.
Gerade angesichts der Ungeheuerlichkeiten der Ermittlungsarbeit zum NSU müssen staatliche Strukturen auch Kritik zulassen, ohne diejenigen, die diese Kritik äußern, einzuschüchtern, zu überwachen und zu verfolgen. Mit dieser Kriminalisierung wird versucht, den Standpunkt von Menschen, die Rassismus erfahren, aus dem öffentlichen Raum zu entfernen und unsichtbar zu machen.
Foto: "Polizist führt die verhafteten Zeilen ab"
Das Bündnis gegen Rassismus und Allmende e.V. werden sich nicht zum Schweigen bringen lassen. Wir kämpfen weiterhin gegen Rassismus und ebenso gegen die Repression gegen uns und unsere politische Arbeit.
Wir fordern die Einstellung der Verfolgung Unschuldiger und ein Ende der Kriminalisierung antirassistischer Arbeit!
Bündnis gegen Rassismus
und Allmende e.V.
Vorab-Presseinfo des Bündnis gegen Rassismus
3. Juni 2014 - Nachmittags:
Kurz nachdem das lang geplante Wandbild heute Vormittag angebracht wurde, trafen Berliner Polizisten mit mehreren Mannschaftswagen und Gefangenentransporter an der Manteuffelstraße/ Ecke Oranienstraße ein und nahmen die Personalien aller dort Anwesenden (auch Passant_innen) auf. Begründung: Der Satz "Staat & Nazis Hand in Hand" sei eine strafbare Verunglimpfung des Staates.
Mit großem Aufgebot und Einsatz einer Feuerwehrdrehleiter wurde der Satz aus dem Wandbild herausgerissen. Eine ausführliche Pressemitteilung zu diesem Vorfall folgt.
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Unsere ursprüngliche Pressemitteilung:
Wandbild "Terroranschlag auf die Keupstraße"
Seit heute hängt an einer Wand des Hauses Manteuffelstraße /Ecke Oranienstraße ein 3x6m großes Wandbild, weithin sichtbar über die gesamte Kreuzung am Görlitzer Bahnhof. Zu sehen: ein Straßenschild mit der Aufschrift "Keupstr.", daran angelehnt ein Fahrrad. Als überschrift "9.6.2004 - Terroranschlag". Mit dem Bild erinnern wir an den Nagelbombenanschlag des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) auf die Kölner Keupstraße vor zehn Jahren.
Am Nachmittag des 9. Juni 2004 explodierte in der stark belebten Straße eine Bombe, gefüllt mit über 5 kg Sprengstoff und 800 Zimmermannsnägeln, die auf einem Fahrrad deponiert war. Sie sollte in der hauptsächlich von Menschen mit Migrationsgeschichte aus der Türkei bewohnten Straße ein brutales Blutbad anrichten. Nur durch Glück starb niemand. Mehr als 22 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.
Die Keupstraße ist weit über Köln hinaus als ein Zentrum des migrantischen Geschäftslebens bekannt. So war für die Anwohner_innen und die Geschäftstreibenden sofort klar: Das war ein gezielt rassistischer Terroranschlag. Die Ermittlungsbehörden schlossen jedoch noch am selben Tag (!) einen rechtsterroristischen Hintergrund aus und verdächtigten die Anwohner_innen. Statt die Betroffenen zu unterstützen und ihre Beobachtungen wahrzunehmen, überzogen sie sie mit einem jahrelangen Ermittlungsterror: sie kriminalisierten sie, spähten sie mit verdeckten Ermittlern aus, drangsalierten sie durch permanente Verhöre, säten Misstrauen innerhalb der Straßengemeinschaft und ignorierten Parallelen zu anderen faschistischen Anschlägen. Noch nachträglich rechtfertigte ein Vertreter der Ermittlungsbehörden vor dem NSU-Untersuchungsausschuß das konsequente Weigern, in Richtung rechter Szene und rassistischem Tatmotiv zu ermitteln, mit der Begründung, dass Nazis nicht Fahrrad führen. Das konsequente Leugnen der Tatherkunft trug dazu bei, dass der NSU immer weiter unbehelligt morden konnte.
Daran soll das Wandbild erinnern.
Wir wollen und werden nach den Gewalttaten, den Morden und der Selbstenttarnung des NSU nicht zum Alltag übergehen. In Öffentlichkeit, Medien und Politik wird zunehmend der Eindruck erweckt, das Thema sei mit dem derzeit in München stattfindenden Strafprozess 'erledigt.' Für uns ist das unfassbar und unerträglich.
Wir sind ein Zusammenschluss von Berliner Initiativen und Einzelpersonen, der in unterschiedlichen Formen die Erinnerung an die Opfer lebendig zu halten versucht. Wir erkennen nach wie vor keine konsequente gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit strukturellem Rassismus, der für die Verbrechen des NSU mitverantwortlich ist. Wir erkennen weiterhin nicht, dass aus den offensichtlichen Verstrickungen der Ermittlungsbehörden, Verfassungsschutzämter und Polizeistrukturen mit der rechten Szene Konsequenzen gezogen wurden. Mit dem großformatigen Wandbild benennen wir öffentlich diese skandalösen Missstände und bringen unsere Wut zum Ausdruck.
Wir beobachten besorgt, wie sich im Strafprozess in München die respektlose Behandlung der Betroffenen fortschreibt. Mit dem Bemühen um Aufklärung wird die Nebenklage allein gelassen. Um diesen Prozess kritisch zu reflektieren, laden wir am 10. Juni ein zu der Diskussionsveranstaltung "Ein Jahr NSU-Prozess - eine Bilanz" im Ballhaus Naunystraße in Berlin, unter anderem mit einem Vertreter der Kölner Initiative "Keupstraße ist überall".
Die Anschläge des NSU richten sich gegen alle, die eine offene Gesellschaft wollen. Deshalb fordern wir:
Einen respektvollen Umgang mit allen von den Anschlägen Betroffenen und ein würdevolles Gedenken an alle vom rechten Terror Ermordeten!
Eine umfassende Aufarbeitung von Nazi-Strukturen und behördlichen Verstrickungen!
Eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit rassistischen Institutionen und Strukturen!
Und wir fordern alle auf, gegen die rassistische Spaltung der Gesellschaft aktiv vorzugehen!
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Allmende e.V. -- Bündnis gegen Rassismus -- Kontakt: bundgrass@yahoo.de -- buendnisgegenrassismus.org
Pressemitteilung vom 03.06.2014 abends als pdf
Pressemitteilung vom 03.06.2014 nachmittags als pdf
Presse:
http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/
http://www.migazin.de/
http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/
http://lowerclassmagazine.blogsport.eu/
zum Weiterlesen:
die Pressemitteilung vom 01.07.2014 zur Klage:
Bündnis gegen Rassismus verklagt Polizei Berlin wegen rechtswidrigem Polizeieinsatz am NSU-Wandbild Manteuffelstraße/ Ecke Oranienstraße.