Die Verlierer der Großen Koalition sind immer die Flüchtlinge und Migrant_innen!
Aufruf zu einer Kampagne (24. Oktober 2014)

Es ist uns allen noch im Gedächtnis, wie am 19. September 2014 das Gesetz zur Neubestimmung der Balkanstaaten Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien als sog. 'sichere Herkunftsstaaten' den Bundesrat passierte und es damit zu einer weiteren Einschränkung des Rechts auf Asyl kam. Rund um dieses Gesetz kam es schon zu erheblichen Protesten.

Dieses Gesetz ist jedoch nur der Auftakt: Die Große Koalition forciert derzeit weitere Verschärfungen und die Einführung neuer repressiver Maßnahmen im Bereich Asyl- und Migrationspolitik. Wenn alle Gesetze durchkommen, handelt es sich um die gravierendsten Verschlechterungen der Rechte und der Lebensbedingungen für Asylsuchende und Migrant_innen in Deutschland seit 1993. Dies könnte viele Erfolge der Kämpfe der letzten Jahre auf einen Schlag zunichte machen.

Es ist also höchste Zeit für einen lauten und breiten Protest!

Die Regierung plant mehrere Gesetzesvorhaben, von denen jedes für sich massive Verschärfungen und einschneidende Eingriffe vornehmen will. Im Gesamtbild stellen sie eine dramatische Verschlechterung verschiedener Bereiche des Asyl- und Migrationsgeschehens dar. Besonders perfide ist die Tatsache, dass Verbesserungen für eine Gruppe durch drastische Einschnitte für eine andere Gruppe aufgewogen werden. So werden Personengruppen gegeneinander ausgespielt, um den erwarteten Protest zu zersplittern: Verbesserungen für die im Rahmen eines Kontingents aufgenommenen Flüchtlinge sollen zu erheblichen Verschlechterungen bei denjenigen führen, die ihre Reise selbst organisieren oder entgegen dem Dublin-Regime nach Deutschland weiterreisen. Menschen mit Duldungsstatus, die hier schon lange leben und wirtschaftlich integriert sind, sollen gegen neu eintreffenden Flüchtlinge ausgespielt werden.

Welche Konsequenzen haben die Gesetzesvorhaben konkret?

Als massivsten Einschnitt sehen wir die in einem Referentenentwurf des Innenministeriums angekündigte drastische Ausweitung der Abschiebehaft. Der Gesetzesentwurf erweitert die Haftmöglichkeiten bei Flüchtlingen immens: Der Begriff der 'Fluchtgefahr' wird hierin um zahlreiche schwammige Merkmale erweitert, die auf die Mehrzahl der flüchtenden Menschen zutreffen, wodurch eine vorsorgliche, umfassende Inhaftierung von Asylsuchenden legitimiert wird. Gleichzeitig werden rechtsstaatliche Garantien gegen die Abschiebehaft abgebaut. Sollte dieser Entwurf als Gesetz umgesetzt werden, so würde eine bisher ungekannte Kriminalisierung von Flucht ermöglicht! "Ungarische Verhältnisse", d.h. die regelmäßige Inhaftierung von Asylsuchenden während ihres Verfahrens, würden gesetzlich verankert und die im jahrelangen Kampf gegen Abschiebehaft erzielten Erfolge somit zunichte gemacht.

Außerdem forciert der Gesetzesentwurf wesentliche Verschärfungen im Ausweisungsrecht sowie eine folgenreiche Ausweitung von Einreise- und Aufenthaltsverboten. Jede Person, deren Asylantrag als 'offensichtlich unbegründet' abgelehnt wurde oder die nicht innerhalb der gesetzten Ausreisefrist ausgereist ist, soll mit einer Einreisesperre für Deutschland belegt werden. Sollte die betroffene Person mit einer Duldung in Deutschland bleiben können, wäre sie von der neu zu schaffenden, stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung (s.u.) ausgeschlossen. Antragsteller_innen aus Staaten, die keine für den Schengen-Raum haben, würden dadurch ihre europäische Reisefreiheit verlieren. Dabei hat das Ministerium v.a. Asylantragsteller_innen aus den neuerdings als 'sicher' definierten ost-europäischen Herkunftsstaaten im Blick, die ein für allemal draußen bleiben sollen.

Als 'offensichtlich unbegründet' abgelehnte Asylanträge und Folgeanträge/Zweitanträge (nach erfolgloser Durchführung eines Erstverfahrens in einem anderen EU-Land) sollen in Zukunft zu der gesetzlichen Vermutung führen, die Einreise sei zum Zweck des Bezuges öffentlicher Leistungen erfolgt. Diese ‘gesetzliche Vermutung’ führt wiederum zu Leistungsausschluss nach dem AsylbLG und Arbeitsverbot nach der Beschäftigungsverordnung.

Die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts notwendig gewordene Novelle des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG), die bereits dem Bundestag vorliegt, behält einen repressiven Charakter bei. So sollen etwa Personen, denen unterstellt wird, sie seien "zum Zwecke des Bezugs von öffentlichen Leistungen" eingereist oder wirkten bei ihrer Abschiebung nicht mit, weiterhin vom Anspruch auf Leistungen ausscheiden. Entgegen der durch den Spruch des BVerfG geweckten Hoffnungen auf ersatzlose Abschaffung des AsylbLG, wird das Sondergesetz beibehalten und weiter repressiv gewendet, was zur abermaligen Prekarisierung der Lebensumstände vieler Flüchtlinge führt.

Die Planungen zu den Einschränkungen der EU-Freizügigkeit sind weit fortgeschritten und der Gesetzesentwurf wird bereits im Bundestag und Bundesrat debattiert. Das Gesetz sieht eine Beschränkung des Rechts auf Aufenthalt zur Arbeitssuche sowie die Verhängung von Wiedereinreiseverboten vor. Dabei schreckt die Regierung wieder einmal nicht davor zurück, EU-Recht zu brechen – im Bewusstsein, dass eine Entscheidung des EuGH in Luxemburg einige Jahre dauert und damit erst zu erwarten ist, wenn die jetzige Regierung nicht mehr im Amt ist. Hinzu kommen verschärfte Überwachung und Kontrolle sowie die Kriminalisierung unrichtiger oder unvollständiger Angaben, die dann wiederum zur Verhängung eines Wiedereinreiseverbots dienen kann.

Nun werden all diese Verschärfungen begleitet durch Verbesserungen für einzelne Personengruppen. So setzt das neue, stichtagsunabhängige Bleiberecht lediglich die schon seit 2005 bestehende Absicht um, endlich den Status der langjährig Geduldeten zu normalisieren. Menschen, die jahrelang mit einer Duldung in der Bundesrepublik leben, können unter bestimmten Voraussetzungen einen regulären Aufenthalt bekommen, auch wenn ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Die hohe Anzahl an Geduldeten in Deutschland ist ein hausgemachtes Problem, das viele politische Fehlentscheidungen zur Ursache hat, bspw. den massenhaften Asylwiderruf gegen irakische Flüchtlinge und den Gesetzeskompromiss zwischen SPD und CDU aus dem Jahr 2005.

Der Gesetzesentwurf schließt jedoch gleichzeitig eine Vielzahl von Menschen von vornherein aus der Bleiberechtsregelung aus, beispielsweise durch die bereits genannte Ausweitung von Einreise- und Aufenthaltsverboten. Außerdem versperren hohe Hürden, wie z.B. der Ausschluss wegen geringfügiger strafrechtlicher Verurteilungen, weiterhin für viele den Weg in einen gesicherten Aufenthalt.

Im luftleeren Raum betrachtet lassen sich einzelne Verbesserungen natürlich begrüßen. Tatsächlich bedeuten sie lediglich eine Anpassung der Migrationspolitik an die Einwanderungsrealität Deutschlands. Zumeist werden nur die Folgen falscher politischer Entscheidungen aus den vergangenen Jahren für die Zukunft beseitigt. Im Gesamtkontext des Gesetzesentwurfs betrachtet wird die Einführung einer Bleiberegelung für langjährig Geduldete mit massiven Einschränkungen der Rechte von neu einreisenden Flüchtlingen erkauft. Ein solcher Kuhhandel mit den Rechten von Menschen ist an Zynismus kaum zu überbieten: Selbst eine noch so großzügige Bleiberegelung für langjährig geduldete Flüchtlinge könnte die geplanten Repressionen für neu eintreffende Geflohene niemals rechtfertigen!

ES WIRD HÖCHSTE ZEIT!

Während dem Gesetz zu den sicheren Herkunftsstaaten bereits im Bundesrat zugestimmt wurde und es nun zur Unterzeichnung beim Bundespräsidenten liegt, befinden sich die anderen Gesetze noch am Beginn des Gesetzgebungsverfahrens. Vom 'Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung', das die schlimmsten repressiven Maßnahmen und Verschlechterungen enthält, liegt der Öffentlichkeit bisher nur der Referentenentwurf aus dem Innenministerium vor. Hier findet noch die Abstimmung zwischen den beteiligten Ministerien statt, bevor voraussichtlich Ende November der endgültige Regierungsentwurf vorgelegt wird. Alle Vorhaben benötigen die Zustimmung des Bundesrats.

Es gibt also durchaus noch Möglichkeiten, diese Gesetze zu verhindern, solange wir jetzt aktiv werden!

Daher möchten wir für Anfang Dezember zu einer bundesweiten Aktionswoche aufrufen und Euch einladen, euch in euren Städten mit lauten und kreativen Aktionen zu beteiligen. Lasst uns gemeinsam einen starken Protest und eine längst überfällige Kampagne gegen die Gesetzesvorhaben der Regierung und für eine menschenwürdigere Asyl- und Migrationspolitik in Deutschland starten!

Wir wollen uns gerne mit euch über eine weitere Koordinierung der Aktionen, Aktionsformen, Möglichkeiten gemeinsamer Pressearbeit, etc. austauschen. Auf jeden Fall wollen wir eine gemeinsame Kampagnenwebseite zur Verfügung stellen, um dort die verschiedenen Proteste darzustellen und miteinander in Verbindung zu setzen.

Eine Initiative der Karawane München

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