Am Beispiel Griechenland:
Der Fluchtweg über das Mittelmeer ist durch die Abschottung der Festung Europa zu einer tödlichen
Route geworden. Deshalb wählen immer mehr Flüchtlinge den Weg über Griechenland nach Europa.
Das Asylsystem in Griechenland existiert nicht mehr. Flüchtlinge campieren in öffentlichen Parks und
werden in geschlossene Lager gesperrt. Sie werden durch rassistische Polizei und faschistische Horden
terrorisiert.
Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass die Wirtschaft und das Sozialsystem Griechenlands während der
Staatsschuldenkrise zusammen brachen. Die Mehrheit der Menschen befindet sich in einer Verelendungsspirale:
Keine Arbeit, keine Gesundheitsversorgung, kein Existenzminimum, keine Bildung ... keine Aussicht auf
Verbesserung.
In Deutschland wird diese Situation ignoriert oder arrogant entstellt.
Deutschland - mal wieder nur nationale und rassistische Hetze
Zum Beginn der europäischen Staatsschuldenkrise, die der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 folgte,
musste die neugebildete griechische Regierung ihren Schuldenstand offenlegen und die EU sowie den IWF um
Unterstützung bitten. Sofort produzierten deutsche Medien das Klischee des "faulen Griechen". Dieses Bild
wurde im Laufe der Krise in die altbekannte Trennung zwischen Süd- und Nordeuropa überführt. Es gäbe in
den Ländern Südeuropas das "Dolce vita", die Kaffeehaus- und Siestakultur: Menschen trinken Kaffee,
schlafen zu Mittag, nehmen Urlaub und gehen sogar in Rente und seien im Allgemeinen faul und korrupt;
während in Nordeuropa, insbesondere in Deutschland, hart gearbeitet werde und Organisation und Kontrolle
herrschten. Die innereuropäischen Klischees vom "Südländer" wurden schon im Diskurs über Gastarbeiter dazu
genutzt, intensiver auszubeuten und Menschen staatlich zu kontrollieren. Sie werden durch die Krise
(re-)aktiviert und nutzbar gemacht für eine deutsche Innen-Europapolitik.
Das ist Rassismus, gegen den wir uns positionieren.
Das Ausmaß der Krise wird mit vermeidlichen Kultur- und Mentalitätsunterschieden begründet. In diesem
Zusammenhang wird die Krise zu einer Angelegenheit einzelner Nationen, in die andere Nationen durch das
Bündnis Europäische Union unschuldig hineingezogen würden. "Den Deutschen" wird vor diesem Hintergrund
Weitsicht eingeräumt, während "die Griechen" nur kurzfristig dächten und weit über ihre Verhältnisse
lebten. Die Schuldfrage scheint eindeutig geklärt zu sein: Gewinner und Verlierer der Krise bestimmen
sich nach dem Leistungsprinzip. "Den Gürtel enger schnallen", sich vom Sozialstaat trennen und durch
persönliche Opfer den Staat konsolidieren, das seien die Tugenden "der Deutschen". In Griechenland,
Spanien oder Portugal gälte demnach Ausruhen und Schummeln als Lebensweise und Tradition. Deutsche hätten
sich Ihren Erfolg vom Mund abgespart, hätten es ökonomisch geschafft und damit ihre Superiorität bewiesen.
Dies gilt als Legitimation, Anderen den Umgang mit der Krise zu diktieren.
Tatsächlich profitierte Deutschland wie kein anderes Land von der Euro-Einführung als Erschließung von
Absatzmärkten für deutsche Industrieprodukte und Investitionsgüter. Länder wie Griechenland wurden mittels
großzügiger Kreditvergabe deutscher Banken dazu angespornt, ihre Infrastruktur auszubauen - zum Beispiel
die völlig überzogene Infrastruktur für die Olympiade 2004 und die intensive Aufrüstung der griechischen
Armee - jeweils aus deutscher Produktion. Deutsche Konzerne halfen mit großzügiger Bestechung nach,
Millionen schwere Aufträge zu überhöhten Preisen "an Land zu ziehen" - Siemens war zum Beispiel
Hauptakteur in einem der größten griechischen Korruptionsskandale (Made in Germany). Dieses spezielle
deutsche Wirtschaften verbindet sich mit neoliberalen Standortvorteilen (niedrige Löhne und ruhige
Gewerkschaften) zum deutschen Erfolg.
Unterschiede wie ungerechte Teilhabe an Reichtum, Auswirkungen von Sparpolitiken und alltägliche Kämpfe
gegen chauvinistische Sozialpolitiken innerhalb der Gesellschaft werden weggewischt. So bleiben gerade im
deutschen Kontext die Kosten der Agenda 2010 und die Frage "auf welchen Rücken" das tüchtige Sparen
vollzogen wurde, ungestellt. Gleichzeitig werden die Anderen zur homogenen Masse stilisiert, der Masse der
Faulen und Verschwenderischen. Über dieses Bild der Anderen wird dabei das nationale Selbstbild des
Erfolgreichen produziert, dass in diesem Fall der kapitalistischen Logik des Leistungsprinzips vollkommen
zu entsprechen scheint und damit den Wert der Nationen bestimmt. Es geht nicht mehr um griechische
Regierungspolitik im Gegensatz zur deutschen, es geht in der nationalistischen Verkürzung um Griech_innen
und Deutsche an sich.
Diese Verallgemeinerungen stehen in der althergebrachten deutsche Tradition des innereuropäischen
Rassismus, der immer einherging mit einem Nord-Süd- Zivilisationsgefälle, doch wird dieser nun durch ein
neues deutsches Selbstbewusstsein des Krisengewinners Deutschland verschärft:
Es entsteht ein diffuses, unproblematisches WIR der Deutschen, das nun unbefangen in die Politiken
der Anderen eingreift und über sie urteilt.
Diese Verknüpfung von Rassismen und ökonomischer Logik werden benutzt, um eine neokapitalistische Politik zu rechtfertigen sowie die Kritik an einem gemeinsamen kapitalistischen System zu vermeiden. Die Verschiebung der Probleme Griechenlands hin zur "Natur" der Griech_innen ermöglichte, die Kritik am Kapitalismus so klein wie möglich zu halten und die Probleme innerhalb der Länder, sogenannter Krisenländer, sowie die Machtstrukturen innerhalb Europas nicht in Frage zu stellen. Obwohl die EU-Länder sich im gleichen ökonomischen und gesetzlichen System befinden, werden nicht die Strukturen reflektiert, stattdessen die Krisenländer als Schuldige deklariert.
Dieser rassistische Diskurs und das diffuse "Wir" der Deutschen muss destabilisiert werden. Keine
Diskussion von ökonomischen Problemen des Kapitalismus entlang rassistischer Klischees und nationaler
Hetze. Soziale Sicherheit, Teilhabe an der Gesellschaft und ihrem Reichtum
für alle, unabhängig von ihrer Herkunft !
Für ein solidarisches Europa, für eine solidarische Welt !