Kampf gegen Islamophobie und Rassismus
Prozess gegen Alex Wiens wegen Mordes an Marwa El Sherbini und Mordversuches an ihrem Mann Elwi O.
Vom 26. Oktober bis voraussichtlich 11. November 2009 findet beim Landgericht Dresden der Prozess gegen den Mörder von Marwa El Sherbini statt. Welche von uns haben den Beginn des Prozesses beobachtet. Es sind wenig Prozessbeobachter_innen da und keine sichtbare Präsenz der antirassistischen und antifaschistischen Linken. Zeigt konkrete Solidarität. Kommt zum Prozess insbesondere am letzten Prozesstag voraussichtlich am Mittwoch den 11.11.2009
Ausgangspunkt für den rassistischen Mord an Marwa El Sherbini und gleichzeitig die erste Begegnung mit ihrem späteren Mörder Alex Wiens war die antiislamische Beleidigung von Marwa El Sherbini auf einem Spielplatz in der Nähe ihrer Wohnung in Dresden. In einem ersten Prozess wurde Alex Wiens dafür wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Wie auch schon auf dem Spielplatz sprach er in diesem ersten Prozess Marwa und ihrer Familie das Recht ab, in Deutschland zu leben.
Gegen das Urteil ging er in Berufung. Bei diesem zweiten Prozess am 1. Juli 2009 griff er Marwa El Sherbini und ihren Mann mit dem Messer an und verletzte beide lebensgefährlich. Die schwangere Marwa starb noch direkt im Gerichtssaal vor den Augen ihres vierjährigen Sohnes. Trotz eines Briefes an das Gericht, in dem Alex Wiens u.a. die Vernichtung von Moslems propagiert hatte, hatte es das Gericht nicht für nötig erachtet, irgendwelche Schutzmaßnahmen einzusetzen (Gerichtsdiener, Polizei). Während des Angriffs war es ein zufällig in einem Nachbarsaal anwesender Polizist, der als einziger außer Elwi O. aktiv eingriff. Er kam in den Raum und schoss dem schwer verletzten Ehemann Elwi O. ins Bein. Er hielt ihn für den Angreifer, als Anhaltspunkt diente ihm dafür wohl Elwis Hautfarbe.
Schon in den Beleidigungsprozessen, wie auch im jetzigen Mordprozess wird der gesellschaftliche Hintergrund der Islamophobie weitgehend ausgeblendet. Der Prozess sei kein Staatsschutzverfahren, d.h. kein politisches Verfahren sondern ein normaler Mordprozess, betont die Vorsitzende Richterin am ersten Prozesstag. In den Medien kann Islamophobie als Begründungszusammenhang für den Täter zwar nicht gänzlich verleugnet werden, aber andere Themen werden in den Vordergrund gezerrt:
Der mediale Diskurs zielt auf eine Externalisierung der Tat in alle Richtungen. Wahlweise "wir" oder "Deutschland"
haben nichts damit zu tun.
Den Täter und seine Motivation wird gedanklich nach Russland exportiert
(Sonderseite der Taz 1.11.2009, S. 3 anlässlich des Prozesses zu den Russlanddeutschen)
Das Problem ist die individuelle Versager-Psyche des Täters. Er wird zum Einzeltäter und
Monster erklärt. (z.B. Bild, 3.7.09) Auch die Verlogenheit des Integrationsdiskurses wird
hier offensichtlich. Denn Alex Wiens wurde nicht als schlecht integrierter russischer Migrant
zum Täter, sondern über seine antiislamische Ideologie fühlte er sich – und war er
– mit der mehrheitsdeutschen Gesellschaft verbunden. Grotesk ist die nachträgliche
Umkehrung: schlecht integrierter Migrant tötet gut integrierte, erfolgreiche Migrantin
(z.B. Berliner Zeitung 27.10.09)
Der Prozess wird in der Mehrheit der Medienbeiträge als Thema zwischen Ägypten
und Deutschland behandelt. Eigentlich wichtig ist der Prozess nur, weil er potentiell die
Beziehungen Deutschlands zu Ägypten belastet. Ja, schlimmer noch, in den deutschen
Medien gab es nach dem Mord mehr als eine Woche ein gänzliches Medien-Blackout zum
Hintergrund der Tat. Erste Berichte in den deutschen Medien gab es erst nachdem es in
Ägypten und Iran zu Protesten gekommen war.
Das eigentliche Thema, der eigentliche Hintergrund der Tat aber, ist die wachsende Islamophobie in der deutschen Gesellschaft.
Der direkte Zusammenhang islamophober Diskurs und Tat ist eindeutig und direkt. Die Beleidigung auf dem Spielplatz geschah, weil Alex Wiens Marwa aufgrund des Kopftuches als Muslima wahrnahm. In der für Islamophobie typischen Vermischung von Islam und Islamismus beschimpfte er sie als "Islamistin" und "Terroristin". Gleichzeitig wollte er sie vom Spielplatz vertreiben, weil sie als Muslima dort (und in Deutschland) nichts verloren habe. In jedem Prozess benannte Alex Wiens seine antiislamische Motivation. Dennoch versucht sowohl dass Gericht als staatliche Instanz, wie auch offizielle Stimmen politischer Persönlichkeiten, wie auch mehrheitlich die Presse, das Problem nicht zu benennen, um sich nicht mit Rassismus und Islamophobie als gesamtgesellschaftlichem Problem auseinander setzen zu müssen.
Dabei taucht von allen Seiten im Umfeld des Verfahrens auf: Moslems sollen nicht in Dresden bzw.
Deutschland sein. Der Täter äußerte es in jeder Verhandlung. Aber auch die Schöffin
fragte im laufenden Verfahren, ob Elwi O. denn weiter hier leben wolle: "Nach dem, was geschehen ist,
habe ich kein gutes Gefühl mehr, in Dresden zu sein" antwortete dieser. (Tagesspiegel, 27.10.09)
Diese Antwort reichte ihr nicht. Sie hakt mehrmals nach, ob er denn wirklich nach allem was geschehen sei
in Dresden bleiben wolle, bis die Unruhe im Zuhörerraum merklich zunahm.
Die Presse zitiert teilweise korrekt (Spiegel, Zeit), teilweise verdreht sie die Antwort des Ehemannes
in ihrem Sinne, "Danach will er Dresden und wohl auch Deutschland verlassen, wie er sagt."
(rtl-aktuell und
FAZ-net)
Der Wunsch als Vater des Gedankens?!
Die Sicherheitsmaßnahmen um den Prozess fördern die Täter-Opfer-Umkehrung. Sie sagen aus: Gefährlich sind die Moslems. Bedrohungsszenarien der Polizei aus denen die Verteidigung von Wiens zitiert, sprechen von der Möglichkeit der Entführung von Mitgliedern des Gerichts etc. Aber dieses ausdrückliche Verweisen auf islamistische Entführer und Terroristen, auf den bedrohlichen Orient bleibt die Ausnahme. Die Bilder entstehen quasi automatisch, sie müssen nicht ausdrücklich benannt werden.
Entsprechend tritt Wiens selber auf: Vermummt bis auf einen Augenschlitz inszeniert er sich als potentielles Opfer eines kollektiven Rachebedürfnisses.
Trauer und Wut!
Solidarität mit den Opfern rassistischer Angriffe!
Berlin, den 5.11.2009
Antirassistische Initiative Berlin