Wer hat Burak B. ermordet?
Am 5. April um ein Uhr nachts wurde Burak B. ermordet. Ein unbekannter Täter näherte sich einer Gruppe von
migrantischen Jugendlichen, die zu diesem Zeitpunkt an einer Bushaltestelle gegenüber dem Krankenhaus Neukölln
saßen. Der Täter gab aus einer Handfeuerwaffe gezielte Schüsse auf die Gruppe ab. Er tötete den 22-jährigen Burak B.
und verletzte Alex A. (16) und Jamal A. (17) lebensgefährlich. Zwei weitere Jugendliche blieben unverletzt. Der Täter
war der Jugendgruppe nicht bekannt. Er wird von den Überlebenden des Angriffs als ca. 40-60 Jahre alt, ca. 180 cm groß,
weiß, mit Kapuzenpulli, beschrieben. Er flüchtete zu Fuß.
Auf Buraks Beerdigung waren 2.000 Menschen, Angehörige und Freunde und zum größten Teil Mitglieder der türkischen sowie muslimischen Community. Am Tatort befindet sich eine informelle Gedenkstelle. Es werden Blumen nieder gelegt und es wird Burak gedacht. Es sind Zeichen von Entsetzen, Solidarität und Mitgefühl. Plakate fordern: "Buraks Mord darf nicht unaufgeklärt bleiben." "Deutschland, wir wollen Gerechtigkeit." Angehörige formulieren, dass es "das Schlimmste wäre, dass der Mord einfach vergessen wird." Sie wollen wissen, was passiert ist und wer es getan hat.
Ein weiterer unaufgeklärter rassistisch-motivierter Mord!?
Vier Monate nach dem Mord hat die Polizei noch immer kein Ermittlungsergebnis vorzuweisen. Auch wenn wir es nicht
mit Sicherheit sagen können, gehen wir davon aus, dass Burak B. von Rassisten ermordet wurde. Sensibilisiert durch
das Totalversagen einer kritischen Öffentlichkeit bei den NSU-Morden, die einfach die Polizeiversion von Milieu-Morden
akzeptiert hat, sind wir nicht bereit hinzunehmen, dass der Mord an Burak B. unaufgeklärt bleibt. Wir dürfen nicht zum
Alltag übergehen. Wir müssen an diesen Mord erinnern und seine Aufklärung fordern. Die Erfahrungen der NSU-Ermittlungen
zeigen, dass die Arbeit der Polizei misstrauisch begleitet werden muss.
Denn es gibt für den Mord an Burak B. einen größeren gesellschaftlichen Kontext:
- Neukölln gilt für eine rassistische Öffentlichkeit als Inbegriff von gescheitertem Multikulti. Deren
pathologisch-rassistische Angstphantasien von aggressiven migrantischen Unterschichten, von Muslimen und Salafisten,
die Deutschland bedrohen, fokussieren insbesondere auf Neukölln.
- Regelmäßig werden Moscheen in Berlin angegriffen. Die Sehitlik-Moschee am Columbiadamm war in diesem Jahr schon
vier mal Ziel eines rassistischen Anschlags.
- Faschistische Drohbriefe werden seit Anfang Februar an muslimische und jüdische Gemeinden, türkische Geschäftsleute
und migrantische Vereine und Privatpersonen verschickt. Unterschrieben sind sie von einer sogenannten "Reichsbewegung".
Diese bedrohen Muslime und Schwarze, Roma und alle Migranten und setzten ihnen eine Frist Deutschland zu verlassen.
Sie kündigen Gewalttaten an.
- Der Hintergrund der unaufgeklärten NSU-Morde besteht weiter. Das antifaschistische Pressearchiv Apabiz ordnet
mehr als 120 namentlich bekannte Neonazis dem NSU-Umfeld zu. Völlig unklar ist, ob weitere Zellen existieren. Es muss
mit einer Fortsetzung der Mordserie oder Nachfolgetätern gerechnet werden. Es existiert eine rassistische, antimuslimische
Internetszene, die den Mord an Burak B. verächtlich und hasserfüllt kommentiert. Sie erklärt Burak B., seine Angehörige
und die Trauergemeinde in einer Täter-Opfer-Verkehrung zu einer Bedrohung.
Dieser rassistische gesellschaftliche Hintergrund erfordert, dass die Polizei gezielt im rassistischen/ faschistischen
Umfeld ermittelt. „Ermittlungen in alle Richtungen“ verschleiern nur und schützen letztendlich die Täter.
Bundesweit, in Berlin und insbesondere auch in Neukölln sind gewaltbereite neonazistische Gruppen (polizei)bekannt,
die sich durch rassistische Übergriffe und Angriffe auf Andersdenkende hervorgetan haben. Des weiteren radikalisiert
sich die antimuslimisch-rassistische „Reichsbewegung“ mit Gewaltaufrufen im Internet. Diese Gruppen und Einzelpersonen
aus ihrem Umfeld kommen als Täter in Betracht. Auch in Bezug auf den norwegischen antimuslimischen Terroristen Breivik
besteht die Gefahr von Nachfolgetätern.
Darüber nicht zu sprechen, bedeutet die Mörder gewähren zu lassen! Vor diesen Bedrohungen die Augen zu verschließen,
deckt die Täter und gefährdet weitere Menschen.
Wir fordern, die Gefahr für Migrant_innen, für Nicht-Weiße und für People of Color in Berlin wahr und ernst zu nehmen. Das bedeutet, ihre Befürchtungen und Hinweise aufzugreifen und zu folgen. Wir fordern eine kritische Öffentlichkeit auf, sich solidarisch zu zeigen.
Was kann das im Einzelnen heißen?
1. Aufklärung fordern. Transparenz der Ermittlungsbehörden fordern. Öffentlichkeit zum Mord und zur Bedrohungssituation
muss hergestellt werden: Warum gibt es keine öffentliche Lageeinschätzung des Verfassungsschutzes zu möglichen Täterkreisen,
sowie zu den rassistischen Diskussionen über diesen Mord in einschlägigen Foren? Wird der mögliche politische bzw.
rassistische Hintergrund der Tat bei den polizeilichen Ermittlungen in Betracht gezogen und warum ermittelt dann nicht
die Staatsschutzabteilung? Muss nicht ein bundesweiter Hintergrund in Erwägung gezogen werden? Warum übernimmt nicht
die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen?
2. Eine öffentliche, politische Reaktion ist nötig: Wie gehen wir alle damit um, dass in unserer Stadt rassistische
Morde stattfinden. Von mindestens 182 rassistischen bzw. rechten Morden in Deutschland seit 1990 haben 12 in Berlin
stattgefunden. Wo ist unsere Empörung, wo ist unser Aufstehen dagegen? Silvio Meier wurde am 21. November 1992 in
Friedrichshain ermordet, Dieter Eich am 25. Mai 2000 Berlin-Buch. Dies sind 2 Personen, an die gesellschaftliche
Gruppen erinnern. Sind die weiteren Opfer vergessen? Haben wir als antirassistische Gruppe und Angehörige der weißen
Gesellschaft die weiteren Opfer vergessen?
Sollte es nicht auch große Gedenkveranstaltungen z.B. für Mahmud Azhar, ermordet am 7.1.1990 in Berlin-Dahlem,
Mete Eksi († 13.11.1991, Berlin-Charlottenburg), Nguyen Van Tu († 24.04.1992, Berlin-Marzahn), Jan W. († 26.07.1994, Berlin),
Attila Murat Aydin († 13.06.2003, Berlin-Köpenick), Cha Dong N. († 06.08.2008, Berlin-Marzahn) geben?
Nach Presseberichten sind in Berlin drei weitere Morde an Menschen „türkischer“ bzw. „jugoslawischer“ Herkunft aus den
Jahren 2000, 2004 und 2006 nicht aufgeklärt. Wie können wir den Druck erhöhen, damit die Ermittlungsverfahren vor dem
Hintergrund der NSU-Morde wieder aufgenommen werden? Wir fordern gezielte Ermittlungen in Richtung rassistischer Hintergründe.
3. Solidarität mit der Familie von Burak B. Solidarität mit Alex A. und Jamal A., den zwei lebensgefährlich verletzten
Jugendlichen. Solidarität mit den rassistisch bedrohten Communities.
Wir als ein Teil der Öffentlichkeit müssen zeigen, dass wir die rassistische Bedrohung von migrantischen Communities,
People of Color und schwarzen Deutschen wahrnehmen und aufs Schärfste bekämpfen.
4. Keine Stille im Land! Schweigen bestätigt die Nazis. Es gibt eine neue Form des rechten und rassistischen Terrors in Deutschland. Es werden keine Bekennerschreiben benötigt. Die Terroristen greifen gezielt Einzelpersonen oder Gruppen aus unserer Gesellschaft nach rassistischen Kriterien heraus und isolieren sie vom Rest. Die Mehrheit der Gesellschaft schweigt. Nazis führen einen „Rassenkrieg“ und brauchen dafür keine Solidarisierung mit ihren Untaten. Es reicht das Schweigen und Ignoranz der Mehrheit, während die Minderheit bedroht und angegriffen wird. Diese Strategie darf nicht aufgehen.
Kein Schweigen im Land!
Burak B. darf nicht vergessen werden!
Solidarität mit der Familie von Burak B., mit Alex A. und mit Jamal A.!
Kampf dem Rassismus!
August 2012
ARI – Antirassistische Initiative Berlin