Hunderte sind auf ihrem Weg vom libyschen Misrata nach Lampedusa an
einem Tag im Oktober 2013 gestorben,
* weil die EU (Deutschland vorneweg) mit ihren global überlegenen
Unternehmen und subventionierten Waren die afrikanischen und
arabischen Ökonomien erfolgreich kaputt konkurriert und den
betroffenen Menschen damit ihre Lebensgrundlage nimmt,
* weil die Lebensmittel, die Fischfanggebiete, die
Rohstoffvorkommen ihrer Heimat exklusiv der Verwertung westlicher
Kapitale dienen und dafür kaum örtliche Arbeitskräfte gebraucht werden,
* weil mit den Menschen vor Ort im Normalfall schlicht überhaupt
kein Geschäft zu machen ist,
* weil sie also schlicht überflüssig, d.h. Überbevölkerung sind,
die stört, wo immer sie rumvegetiert,
* weil die den ehemaligen Kolonisierten gewährte Freiheit, sich
selbstverantwortlich um den eigenen Gelderwerb kümmern zu dürfen,
weder die tatsächliche Möglichkeit dazu in ihrer Heimat noch das Recht
einschließt, diese verlassen zu dürfen, nur weil man daheim nicht
leben kann, um auswärts in den Metropolen des Kapitalismus die eigene
Arbeitskraft anzubieten,
* weil sie seit der Eurokrise als Wanderarbeiter und Erntehelfer
erst recht nicht gebraucht werden,
* weil Weltbank und IWF darauf bestehen, dass die afrikanischen
Staaten die Ernährung ihrer Völker nicht subventionieren dürfen, wenn
sie weiterhin vom Westen Kredit wollen,
* weil nicht geduldet wird, wenn sich die Überflüssigen in ihrer
Not gegen ihre politische Herrschaft auflehnen oder anderen
politischen Mächten zuwenden, sofern dies den Ordnungsvorstellungen
europäischer und amerikanischer Mächte widerspricht,
* weil EU und USA die Verzweifelten in Afrika, im Nahen und
Mittleren Osten in Zentralasien für ihre Einflussnahme auf die
Regionen zu instrumentalisieren suchen,
* weil westliche Regierungen die Aufstände der Verzweifelten - je
nach Bedarf - gegen unliebsame Regierungen unterstützen (Syrien,
Libyen, Libanon, Iran usw.),
* weil sie, wo dies zur Durchsetzung der eigenen Interessen
opportun erscheint, zur ethnischen und religiösen Spaltung ganzer
Staaten beitragen und die dafür nötigen Kriege finanzieren (Eritrea,
Sudan, Somalia),
* weil die Staaten des Westens unliebsame Bewegungen und
Organisationen bespitzeln, verfolgen, ihre Mitglieder und deren
Angehörige foltern, sie mit Drohnen beschießen, sie von Milizen
vernichten lassen usw. (Jemen, Pakistan, Somalia, Kurdistan...),
* weil sie befreundete und verbündete Regime bei ihrer
Kriegführung unterstützen (Saudi-Arabien, Khatar, Arabische Emirate,
Jordanien, Türkei usw.) Diktaturen, Monarchien und Gottesstaaten für
ihre Beiträge zur imperialistischen Weltordnung aus- und aufrüsten und
so von sich abhängig machen,
* weil sie Putschs gegen antiwestliche Regierungen, die auf
demokratischem Wege an die Macht gekommen sind, und dazugehörige
Militärdiktaturen offen unterstützen (Algerien) oder zumindest decken
und militärisch ausrüsten (Ägypten),
* weil sie mit Wirtschaftsembargos und Blockaden die Lage der
Völker in unliebsamen Staaten weiter zu verschlechtern suchen, um sie
in Hungeraufständen gegen ihre Regierung aufzubringen,
* weil die USA und die EU-Staaten überall dort, wo diese
friedliche Diplomatie nicht ausreicht, um ihre Interessen
durchzusetzen, zur offenen Kriegführung übergehen, Söldnertruppen
zusammenstellen oder gleich selber bombardieren, einmarschieren oder
besetzen (Afghanistan, Irak, Libyen, Mali, usw.), natürlich nur, um
die "Zivilbevölkerung zu schützen",
* weil jede Hoffnung der "Beschützten", der "unschuldigen
Zivilbevölkerung" der "schutzlosen Männer, Frauen und Kinder", auf
legale und sichere Weise mit europäischen Fähren oder Fluglinien
diesem Horror zu entgehen, um in den segensreichen Moloch deutscher,
französischer oder britischer Slums zu gelangen, dort die Klos von Mc-
Donalds oder die Flure deutscher Ämter und Behörden zu putzen, im Puff
für die verkorksten Seelen des freien Westens zur Verfügung zu stehen
oder auf den Plantagen spanischer Agrarkonzerne Pestizide zu
inhalieren, durch ein hermetisches Grenzregime zunichte gemacht wird.
Es ist auch konsequent, dass Fischer nicht helfen und vorbeifahrende Container,- und Kreuzfahrtschiffe die Ertrinkenden nicht retten, ihre Hilferufe nicht erhören, da möglichen Rettern harte Strafe droht. Es ist auch nur folgerichtig, dass die Überlebenden in Rom angeklagt werden und mit hohen Geldstrafen rechnen müssen, noch bevor alle Leichen beseitigt sind, damit kein falsches Signal an jene ergeht, die auf der anderen Seite des Meeres noch leben.
Auch wenn es niemand so sagen will: Die toten Flüchtlinge sind für die ökonomischen Interessen der führenden kapitalistischen Staaten und ihrer Unternehmen unvermeidlich! Sie sind als Teil der zivilen Opfer des europäischen Imperialismus notwendig!
Auch wenn es niemand so sagen will: Die nun öffentlich zur Schau
getragene Betroffenheit dient nicht den toten Flüchtlingen - wie
sollte sie auch!
-- Scham und Trauer gelten dem Ansehen des europäischen
Staatenbündnisses, seiner Machthaber und seiner Werte!
-- Angesichts von überdurchschnittlich vielen Grenztoten geht es
Presse und Politik um die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit
jener Werte, in deren Namen von Afghanistan bis Mali Krieg
geführt wird!
Prof. Dr. Arian Schiffer-Nasserie (Evangelische Fachhochschule RWL), 5. Oktober 2013