antirassistische initiative berlin


30. Jahrestag des rassistischen Mordes an Ufuk Şahin
Sonntag, 12. Mai 2019 | 13 Uhr | Kundgebung (vor den Häusern Wilhelmsruher Damm 224-228, Berlin/Märkisches Viertel, neben U/S-Bahn Wittenau)

ufuk

Am 12.05.1989 wird Ufuk Şahin, ein 24-jähriger Berliner, Vater eines 2-jährigen Sohnes, im märkischen Viertel auf dem Fußweg vor dem Haus Wilhelmsruher Damm 224 von einem Rassisten aus der Nachbarschaft erstochen. Der Nachbar offenbart bei der Tat und auch wieder im späteren Prozess seine rassistischen Motive.

Unmittelbar nach dem Mord organisieren Angehörige, Freund*innen und Nachbar*innen eine Demonstration: am 19. Mai 1989 ziehen 1500 Menschen durch das Märkische Viertel. Einen Tag später, am 20. Mai demonstrieren fast 10.000 Menschen am Rathaus Schöneberg, dem damaligen Regierungssitz West-Berlins gegen den eskalierenden Rassismus. Schon in den 1980er Jahren häufen sich rassistische Morde in den westdeutschen Großstädten. In der Folge dieses und weiterer Morde beginnen jüngere Berliner*innen, sich in Selbstschutz-Gruppen zu organisieren.

Im Oktober 1989 wird der Täter Andreas Sch. zwar zu 5 Jahren Haft verurteilt, ein rassistisches (damals "ausländerfeindliches") Motiv kann die Richterin Eschenhagen jedoch nicht erkennen, obwohl Andrea Sch. im Gericht als Motiv Ärger über "all die Kanaken" geäußert hatte.

Der Mord an Ufuk Şahin steht für uns stellvertretend für die vielen rassistischen Morde und Gewalttaten seit den 80er Jahren und den Umgang der Strafverfolgungsbehörden und der Gesellschaft mit ihnen: Oft unaufgeklärt, vertuscht, ihrer politischen Bedeutung enthoben. Morde wie die des NSU, haben uns gezeigt: Deutsche Täter morden mit rassistischen Motiven, dies darf aber nicht ermittelt und erkannt werden. Strafverfolgung wird auf das nicht-vermeidbare beschränkt. Die rassistischen Motive und die unhaltbaren deutschen Zustände (von Diskriminierung und Ausgrenzung bis zu Gewalt und Mord) will die Mehrheitsgesellschaft nicht wahr haben.

Die Opfer und Betroffenen werden alleine gelassen, immer wird sind sie es sogar, gegen die ermittelt wird und nicht zu selten werden sie ignoriert oder vergessen.

Auch an Ufuk Şahin erinnert seit Jahrzehnten nichts im öffentlichen Raum und Leben von Berlin. Dies möchten wir ändern:

Wir möchten mit Euch/Ihnen gemeinsam an seinem 30. Todestag an Ufuk Şahin erinnern.

Kommt am 12.05.2019 um 13 Uhr Wilhelmsruher Damm 224-228 in Berlin/Märkisches Viertel

(neben U-Bahn/S-Bahnhof Wittenau - U8 Endhaltestelle, S1, S26)
--------------

Mobilisierung und Berichte der Veranstalter*innen: Facebook Event, Niemand ist vergessen!, North-East Antifascists [NEA], Antirassistische Initiative Berlin, Initiative zur Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş, ReachOut, Allmende e.V., Hakan Tas auf Facebook, DIE LINKE. Berlin Reinickendorf auf Facebook, Katina Schubert, MdA DIE LINKE, Facebook Post Katina Schubert (MdA Fraktion DIE LINKE. Berlin), Hände weg vom Wedding
--------------

Presse: ND
--------------

Redebeitrag der ARI zu Ufuk Şahin -- 12. Mai 2019

Wir haben uns hier im Märkischen Viertel versammelt, um Ufuk Şahin zu gedenken.
Er wurde am 12. Mai 1989, vor 30 Jahren, an diesem Ort, in der Nähe seines Wohnhauses, von einem Rassisten ermordet.
Ufuk Şahin wäre heute 54 Jahre alt.
Wir kannten Ufuk nicht, wir wissen nicht, wie er gelebt hat, wir haben nicht sein Lachen gehört und nicht seine Sorgen geteilt. Wir waren nicht seine Arbeitskolleg*innen und wir haben ihn nicht aufwachsen gesehen.
Aber wir sind alles Menschen, die damals und heute hier in Berlin, in seiner Heimatstadt, lebten und leben.

In den letzten 30 Jahren haben wir erfahren müssen, dass Nazis und Rassisten immer wieder Menschen in Berlin bedrohten und ermordeten.
Wir wollen nicht, dass diese Menschen, die aus der Mitte ihrer Familien, ihrer Freund*innen und Nachbar*innen gerissen wurden, von der Öffentlichkeit vergessen werden.
Wir wollen, dass Rassismus in dieser Welt keinen Platz hat.

Vor 30 Jahren, am Abend des 12. Mais war es warm. Ufuk Şahin, damals 24 Jahre alt, ging mit seinem Freund Murat hier in der Gegend im Märkischen Viertel spazieren.
Ufuk war verheiratet, sie hatten einen 2-jährigen Sohn. Im Viertel wohnte auch seine Familie: seine Eltern, seine beiden Brüder und seine Schwester.
An dem Abend begegneten Ufuk und Murat dem in der Nähe wohnenden Andreas Sch. und seiner Freundin. Im Vorbeigehen beleidigte dieser die beiden rassistisch. Sie ignorierten dies.
Als sie wenig später zum Wilhelmsruher Damm zurückkehrten, wartete dort Andreas Sch. und soll ihnen zugerufen haben: "Ausländer raus, Deutschland den Deutschen".
Ufuk ging auf ihn zu und soll ihn gefragt haben: "Warum sagst Du so etwas?" "Du bist ein Mensch, Ich bin auch ein Mensch"
Sein Mörder zieht ein Messer und sticht auf ihn ein.
Ufuk verblutet und stirbt.
"Ich bin auch ein Mensch" waren die letzten Worte Ufuk Şahins.

Unmittelbar nach dem Mord organisierten die Freund*innen, die Familie und ein Solidaritäts-Komitee eine Demonstration:
Am 19. Mai 1989 zogen 1.500 Menschen durch das Märkische Viertel. Familie und Freunde trugen das Front-Transparent mit der Aufschrift "Wut und Trauer - gemeinsam gegen Rassismus", eine Parole, die aktueller nicht sein könnte.
Die Mutter von Ufuk Şahin hielt auf der Demonstration eine Rede.

Einen Tag später, am 20. Mai, demonstrierten fast 10.000 Menschen am Rathaus Schöneberg, dem damaligen Regierungssitz West-Berlins, gegen Rassismus.
Ein breites Spektrum von linken und migrantischen Organisationen und Parteien haben zu diesem Demonstrationszug aufgerufen.

Am Rande der Demonstration provozierten Nazis: sie bewarfen die Demo mit Eiern, zeigten den Hitlergruß und pöbelten.
Deutlich zeigt dies: anders als wir es heute gerne erinnern möchten, war West-Berlin vor 1990 kein paradiesisches Biotop, das erst später mit dem Rassismus des Ostens konfrontiert wurde. Rechte Parteien und Nazis waren aktiv:
Nur vier Monaten vor Ufuks Tod war die rechtsextreme Partei "Die Republikaner" in das Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen. In einem Wahl-Werbespot hinterlegte sie Bilder von Migrant*innen in Kreuzberg mit der Melodie von "Spiel mir das Lied vom Tod".
Das Märkische Viertel war damals eine der Hochburgen der Republikaner, so wie es heute eine der Hochburgen der AfD ist.

Im Oktober 1989, nach nur zweitägiger Beweisaufnahme, verurteilte die Richterin Eschenhagen den Mörder Ufuk Şahins zu 5 Jahren Haft wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Wie schon die Kriminalpolizei in den Ermittlungen konnte auch das Gericht keine A nhaltspunkte für ein sogenanntes "ausländerfeindliches" Tatmotiv erkennen. Dabei beschrieb der Angeklagte im Gerichtssaal eindeutig seine rassistisches Tatmotivation und Zeug*innen belegten seine rassistischen Einstellungen.
Die Ignoranz gegenüber Rassismus hat Tradition in der Strafverfolgung in Deutschland: Rassismus wird nicht benannt und rassistische Gewalt und Morde werden als solche nicht verfolgt.
Ob vor 30 Jahren der Mord an Ufuk Şahin, vor 15 Jahren die Mordserie des sogenannten NSU oder heute.
Um so wichtiger ist es, das wir an jedes Opfer rassistischer Gewalt erinnern.

Ufuk Şahin wird nicht vergessen.
Es ist gut, dass wir heute mit so vielen Menschen hier demonstrieren.
Es ist gut, dass die Fraktion der Linken in der Bezirksverordnetenversammlung den Antrag stellte, an diesem Ort eine Gedenktafel für Ufuk anzubringen.

zurück