Landesgemeinschaftsunterkunft
"Neues Haus" in der Gemeinde Georgenthal bei Tambach-Dietharz in Thüringen
(1998)
Ein mächtiger Metallzaun mit scharfen Spitzen und doppeltem Stacheldraht grenzt mitten im Wald einen Komplex mit mehreren Häusern ein. 24 Personen eines Wachdienstes arbeiten rund um die Uhr, regelmäßig zieht ein Wachmann mit scharfem Schäferhund seine Runden. Das schwere Metallschiebetor gibt die Einfahrt auf Knopfdruck aus der Pförtnerbaracke frei, auch der Personeneingang, ein Drehkreuz in einem Metallgeflecht, ist erst nach einem Knopfdruck passierbar. Etwa 500 Asylbewerber aus dreißig Nationen sind in der Großunterkunft untergebracht, manche schon seit drei Jahren. Bei einer Führung für JournalistInnen durch das Heim mit Thüringens Innenminister Richard Dewes gelingt es den Flüchtlingen, ihm eine Protesterklärung zu übergeben. "Die Leitung des Heimes behandelt uns wie Tiere, Sklaven oder Gefangene", heißt es darin und: "Wir werden mit Abschiebung bedroht, wenn wir weiter gegen diese Situation protestieren." Die Polizei schüchtere sie ein, "wenn wir gegen die ungerechten Bedingungen auftreten". Als sehr belastend empfinden es viele Asylbewerber - eine Reihe von ihnen schleppt traumatische Erfahrungen aus Polizeihaft und Gefängnissen in ihrer Heimat mit sich herum -, daß sie von einem Stacheldrahtzaun umgeben sind. An dessen Innenseite (zur Unterkunft hin) liegen streckenweise Rollen mit Nato-Draht. Noch belastender ist für die Asylbewerber die extreme Isolation der Gemeinschaftsunterkunft. Bis in den kleinen Ort Tambach-Dietharz sind es fünf Kilometer durch den Wald, die nächste Stadt, Gotha, liegt 25 Kilometer entfernt. Eine Rückfahrkarte nach Gotha kostet 15 Mark, viel Geld bei einem monatlichen Taschengeld von 80 Mark, von dem oft noch 50 Mark Anwaltskosten zu zahlen sind. Schwarzafrikanische Asylbewerber klagen darüber, daß sie Rassismus erleben. "In Tambach-Dietharz gibt es ein Geschäft, wo sofort ein Knopf gedrückt wird, wenn einer von uns hineingeht", sagt ein Westafrikaner. Die meisten wurden auch schon von glatzköpfigen Neonazis angepöbelt. Viele fürchten sich deshalb, allein durch den Wald zu gehen. Innenminister Dewes hatte bei seinem Besuch besonders die Qualität der ärztlichen Versorgung der Heimbewohner herausgestellt und sie der der deutschen Bevölkerung als ebenbürtig bezeichnet. Was Asylbewerber sagen, klingt allerdings anders: Der Arzt spreche nur schlecht Englisch und Französisch gar nicht, daher sei es schwer, ihm durch Gestikulieren die für die Diagnose notwendigen Informationen zu geben. Bei unterschiedlichsten Beschwerden bekämen sie oft dasselbe Medikament verschrieben. Heimleiter Mielke betont, die Heimbewohner könnten, falls nötig, einen Dolmetscher anfordern. Nachfragen ergaben jedoch, daß in diesem Jahr bei Arztbesuchen kein einziges Mal ein Dolmetscher dabei war. Zitate aus: Frankfurter Rundschau 30.9.98
|