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Vorladungen von traumatisierten bosnischen Flüchtlingen beim Polizeiärztlchen Dienst in Berlin (PÄD)   (2000)

Seit April 1999 wurden fast alle der 800 in Berlin lebenden traumatisierten bosnischen Flüchtlinge aufgefordert, sich beim Polizeiärztlichen Dienst vorzustellen. Durch eine zusätzliche Untersuchung sollten hier die von den Flüchtlingen durch Gutachten von niedergelassen MedizinerInnen und PsychologInnen geltend gemachten Traumatisierungen überprüft werden.

Entgegen der vorgelegten Gutachten wurden ca. 80 % der vorstelligen Flüchtlinge von den Polizeiärzten für gering oder für nicht traumatisiert erklärt.

Die Vorladungen der Flüchtlinge beim PÄD gestalteten sich für die Betroffenen als psychische Tortur. Viele von ihnen, die seit Jahren in psychotherapeutischer Behandlung sind, wurden durch diese Verhöre bei der Polizei retraumatisiert. 
Weil die Polizei bei diesen "Untersuchungen" keine DolmetscherInnen zur Verfügung stellte, und die Flüchtlinge schon vorher aufgefordert worden waren, selbst für die Übersetzungen zu sorgen, passierte es öfter, daß minderjährige Kinder die traumatisierenden Erlebnisse der Eltern beschreiben sollten.

Die Flüchtlinge und ihre Begleitpersonen berichteten unter anderem von Äußerungen der dort tätigen Polizei-Psychologin ihnen gegenüber, die die fachliche "Qualifikation" deutlich in Frage stellten. 
Einer traumatisierten Frau, die berichtete, daß sie bedroht, verfolgt und vergewaltigt worden war, wurde von einem männlichen (!) Mitarbeiter des PÄD entgegnet: Vergewaltigung sei ja eine schlimme Sache, aber es sei doch kein Grund, für immer in Deutschland bleiben zu wollen. Die Psychologin erwiderte, daß auch deutsche, von Ausländern vergewaltigte Frauen weiter in Deutschland bleiben würden. Der Arzt ergänzte noch, es könnten doch nicht alle Flüchtlinge in Deutschland bleiben.
Als eine Bosnierin von ihrer Angst vor erneuten kriegerischen Auseinandersetzungen in Bosnien berichtet, kam die Antwort der Polizei-Psychologin: "Krieg gehört zum Leben!"
Einer traumatisierten Frau, die mehr als 20 Verwandte im Krieg verloren hatte, selbst schwer verwundet worden war und die nun von ihrer Angst vor Übergriffen auf sie als Minderheiten-Angehörige im Falle einer Rückkehr erzählte, entgegnete die Psychologin, auch in Deutschland könne ihr so etwas passieren. Daß sie nachts nicht schlafen könne und herumirre, sei normal.

Eine wissenschaftlich-analytische Studie vom Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin, die die psychologischen und ärztlichen Gutachten von niedergelassenen PsychologInnen und MedizinerInnen mit denen des PÄD vergleicht, beschreibt die gutachterliche Inkompetenz des Polizeiärztlichen Dienstes. Traumatisierungen werden nicht erkannt oder bagatellisiert. Nicht einmal die international standardisierten Minimalforderungen werden erfüllt. Die Argumentationen in polizeiärztlichen Stellungnahmen sind "unter medizinisch-psychologishen Gesichtspunkten in der Regel in sich widersprüchlich, nicht nachvollziehbar und unverständlich. Sinn machen diese Argumente nicht im klinischen Kontext, sondern nur in einem politischen Kontext, der die Durchsetzung der Abschiebung fordert."

Die 35. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichtes erklärte eine derartige Regelüberprüfung am 21. Dezember 1999 sogar für verfassungsrechtlich unzulässig. Das Land Berlin verletze durch die "rechtswidrige Verfahrensweise" die "Grundrechte von traumatisierten Flüchtlingen in mehrfacher Hinsicht". 

Die Delegiertenversammlung der Berliner Ärztekammer verwahrte sich am 22. März 2000 einstimmig und "entschieden gegen die Unterstellung durch die Berliner Innenverwaltung, Berliner Ärzte würden in großem Umfang Gefälligkeitsgutachten zugunsten von traumatisierten Ausländern erstellen". Sie forderte die sofortige Beendung der polizeiärztlichen Untersuchungen und ein Bleiberecht traumatisierter bosnischer Flüchtlinge auf Dauer.

Erst im Oktober 2000 kündigte die Berliner Innenverwaltung an, auf die Zweitbegutachtung durch den PÄD zu verzichten. Anlaß dazu waren weniger die Proteste gegen den PÄD, sondern die Tatsache, daß die Polizei-Psychologin, die eineinhalb Jahre über das Schicksal der Flüchtlinge entschieden hatte, durch ihre eigene psychische Krankheit derart auffällig geworden war, daß sich ihre weitere Tätigkeit auf diesem Gebiet verbot.

Quellen:
FRat Berlin;
Fluchtpunkt. Nr. 0 Dezember 1999; Fluchtpunkt. Nr. 1 Februar 2000;
Studie des Behandlungszentrums für Folteropfer Berlin Januar 2000