Text erschienen in analyse und kritik - ak 427 - 10 Juni 1999
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Pressemitteilung vom 30. Mai 1999
während der Abschiebung getötet. Am Freitag nachmittag, den 28.5.99, starb der 30-jährige Aamir Omer Mohamed Ahmed Ageeb in einer Lufthansa-Maschine. Er sollte in den Sudan abgeschoben werden. An Händen und Füßen gefesselt, in einen Motoradhelm gezwängt und an den Sitz fixiert, wurde er beim Start von den BGS-Beamten mit brutaler Gewalt "in die Hocke" gedrückt und so getötet. Daß dieser Tod durch deutsche Bundesgrenzschutz-Beamte verursacht wurde, fand Schily "bedauernswert" und die Gewerkschaft der Polizei am Frankfurter Flughafen bedauerte ebenfalls. Ihr Mitgefühl gelte allerdings auch den Kollegen, sprich den Tätern, die "voller Entsetzen und Sprachlosigkeit" dem Tode Ageebs gegenüberstünden. (FR 31.5.99) Die Täter sind auch 4 Tage nach der Tötung nicht suspendiert; im Gegenteil, sie werden derzeit auf ihre Dienstfähigkeit untersucht, "denn der Vorfall ist ja auch an den Beamten nicht spurlos vorübergegangen", meinte der Sprecher des Bundesinnenministeriums R. Kiel. Und weiter: "Wir haben bislang keine Erkenntnisse darüber, daß die Beamten gegen Abschiebevorschriften verstoßen haben".(Berl. Ztg. 1.6.99) Aber Schily zieht erste Konsequenzen aus dem "Unglücksfall". Nicht, daß er sein Amt räumt, wie vor einem halben Jahr sein belgischer Kollege Louis Tobback nach dem gewaltsamen Erstickungstod der Nigerianerin Semira Amadu während ihrer Abschiebung. Schily droht Überprüfungen an und Konsequenzen. Offiziell hat er die Aussetzung aller Abschiebungen angeordnet, bei denen mit Widerstand von seiten der Gefangenen zu rechnen ist. Dazu erste Kommentare von Bayerns Innenminister Beckstein: ..... durch die Verfügung "würden gewalttätige Abschiebehäftlinge belohnt". Schilys Entscheidung sei eine "unüberlegte Reaktion, die den Ländern große Schwierigkeiten macht" - ein "fatales Signal" an Abschiebehäftlinge. (FR 1.6.99) Der Tod von Aamir Ageeb ist kein Unglücksfall, sondern ein bewußt in Kauf genommenes Risiko bei Abschiebungen. Aamir Ageeb ist der dritte Mensch, der innerhalb der letzten sechs Monate durch Zwangsmaßnahmen bei Abschiebungen gestorben ist (22.9.98 Semira Amadu - Belgien; 1.5.99 Marcus Omofuma - Österreich). Dadurch, daß diese Tötungen in aller Öffentlichkeit geschehen - und dazu noch von sogenannten Sicherheitskräften vollzogen werden, ist die öffentliche Empörung derzeit so groß. Abschiebepraxis wird erneut in Frage gestellt, wobei konkret die Zwangsmaßnahmen diskutiert werden, die die Gefangenen in Todesnähe bringen könnten, wie z.B. der Verschluß oder die Einengung der Atemwege. Und es geht bei der Diskussion ausschließlich um den Transport der Gefangenen vom Abschiebeknast bis zum Flugzeug und während des Fluges. Nicht erwähnt werden die Strukturen, die diesen Abschiebungen vorgeschaltet sind: Asylverfahren, Behördenschikanen, Wohnzwang in Heimen, Entmündigung, Arbeitsverbote, Freiheitsberaubung, , systematische Kriminalisierungsversuche - und dann Illegalisierung, Verfolgung, Festnahme, Gefangenschaft im Abschiebeknast. Nicht erwähnt werden die Selbstmorde und Selbstmordversuche von Flüchtlingen aus Angst vor der Abschiebung; nicht erwähnt werden Folter und Verfolgung und Todesfälle nach erfolgten Abschiebungen. (siehe Kasten 1) Auch nicht erwähnt werden die alltäglichen Übergriffe der BGS-Beamten gegen das Leben und die Gesundheit von Flüchtlingen, Übergriffe, die nicht zum Tode führen, sondern "nur" zu Knochenbrüchen, Prellungen, Gehirnerschütterungen oder Kreislaufzusammenbrüchen. Die Antirassistische Initiative Berlin dokumentiert seit Jahren diese Fälle und es ist unbestritten: es sind keine "Ausrutscher" einzelner Beamter, die zu Verletzungen bei den Gefangenen führen, sondern es ist alltägliche Praxis, mit Mitteln des äußersten Zwanges, Widerstand zu "brechen", zu "ersticken" und zu "erschlagen". (siehe Kasten 2) Es geht auch anders Das Ziel der Behörden ist es, Abschiebungen in Linien-Maschinen möglichst unauffällig durchzuführen, damit die mitreisenden Passagiere sich nicht wundern, sich nicht erschrecken und sich nicht einmischen.. Um möglichst wenig Öffentlichkeit zu haben, werden die gefesselten Gefangenen direkt an die Maschine gefahren und erst kurz vor dem Start in die Kabine geführt und dann meist in den letzten Reihen plaziert. Immer in Begleitung von BGS-Beamten, die die "Schüblinge" während des Fluges bewachen, um Widerstandsversuche gegebenenfalls sofort zu unterdrücken. Mißhandlungen von seiten der Beamten, die von Flugpersonal oder Passagieren beobachtet wurden, führten in einigen Fällen schon mal dazu, daß die PilotInnen die Mitnahme eines Gefangenen verweigerten und die Abschiebung so abgebrochen und verschoben werden mußte. In einem ganz aktuellen Fall, führte der Protest der Mitreisenden sogar dazu, daß der Flüchtling von seinen Knebeln und Fesseln befreit wurde, die begleitenden Beamten von 20 bis 30 Passagieren - und nach seiner Befreiung auch vom Flüchtling selbst verprügelt wurden. Bei einem Zwischenstopp der Maschine im Kamerun gelang es, Crew und Polizei zu zwingen, den Gefangenen in die Schweiz zurückzufliegen. In Zürich mußte er freigelassen werden, weil sein Abschiebehaftzeit abgelaufen war. So geschehen am 9. Mai auf dem Flug von Zürich nach Kinshasa. Herzlichen Glückwunsch. Diese Erfahrungen zeigen, daß es auch bei diesem vermeintlich letzten Akt des Abschiebeverfahrens, durchaus Möglichkeiten gibt, Einfluß zu nehmen. Flugpassagiere haben die Möglichkeit, durch lautstarken Protest, durch Nicht-Anschnallen oder Aufstehen, den Start der Maschine zu verhindern. Die Maschine darf nicht starten, wenn die Passagiere nicht angeschnallt sind. Das Flugpersonal hat die Möglichkeit, die Mitnahme der Flüchtlinge zu verweigern. Derartige Ratschläge verteilen wir bei Flughafen-Aktionen regelmäßig an Flugpersonal und Passagiere. Immer mit der Aufforderung, miteinander zu reden, gemeinsam zu protestieren und einzugreifen - und so den Gefangenen in ihrem Widerstand zu unterstützen und die Abschirmung durch die Beamten zu durchbrechen. Öffentlichkeit herstellen, Isolation aufheben, Solidarität üben, Abschiebung verhindern. Antirassistische Initiative Berlin (ARI)
Kasten 1: 64 Menschen begingen wegen der drohenden Abschiebung Selbstmord. Mindestens 121 Flüchtlinge versuchten, sich zu töten und überlebten z.T. schwer verletzt. Während der Abschiebungen starben 4 Flüchtlinge; 58 Flüchtlinge wurden verletzt. Abgeschoben in ihre Herkunftsländer, kamen 6 Flüchtlinge zu Tode, mindestens 212 Flüchtlinge wurden im Herkunftsland von Polizei oder Militär mißhandelt und gefoltert. Mindestens 15 Menschen verschwanden spurlos. 9 Flüchtlinge starben durch Polizeigewalt in der BRD, mindestens 49 wurden verletzt. Zahlen stammen aus: "Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen" - 1993 bis 1998 - 6. aktualisierte Auflage herausgegeben und zu beziehen über Antirassistische Initiative Berlin, Yorckstr. 59, 10965 Berlin >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>Kasten 2
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