junge Welt Inland

19.09.2000
Abschiebehaft in den Tod
Kein »Fremdverschulden«? Initiative erinnerte in Berlin an Opfer des staatlichen Rassismus

An salbungsvollen Worten und bunten Gewändern fehlte es nicht, als am Samstag abend in der St. Mathias-Kirche im Berliner Stadtbezirk Schöneberg die 25. Interkulturellen Wochen Berlin-Brandenburg von Kirchenvertretern aus Berlin und Afrika eröffnet wurden. Doch während es in der Kirche um die »Königin von Saba« ging und »Nun danket alle Gott« gesungen wurde, hielt sich die Berliner »Initiative gegen Abschiebehaft« an die Realität in der BRD im Jahr 2000. Sie erinnerte an die Behandlung von Flüchtlingen in Deutschland und forderte die sofortige Abschaffung der Abschiebehaft.

Die Aktion hatte einen traurigen Anlaß. In der Nacht zum 30. August starb in Berlin der mongolische Flüchtling Altankov Dagwasoundel bei dem Versuch aus der Abschiebehaft zu fliehen. Nach Angaben von Antirassismusgruppen war der 28jährige mehr als vier Wochen in der Abschiebehaftanstalt Köpenick inhaftiert. Eine Verlegung in das Köpenicker Krankenhaus wollte er nutzen, um sich mit mehreren verknoteten Bettüchern aus der 6.Etage abzuseilen. Doch es wurde eine Flucht in den Tod. Der Fall wurde zunächst vom Berliner Innensenat verheimlicht und erst durch Recherche der Antirassistischen Initiative (ARI) der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Ähnlich wie bei verheimlichten Opfern des Naziterrors argumentierte die Polizei auch beim Tod von Dagwasoundel mit fehlendem öffentlichen Interesse.

»Dieser tödliche Unfall ist ein Beispiel dafür, zu welchen verzweifelten Schritten die Opfer der Abschiebemaschinerie getrieben werden«, heißt es in einer Presseerklärung der Initiative gegen Abschiebehaft. Die Antirassisten betonen, daß es sich im Gegensatz zur Version der Polizei bei dem Tod von Dagwasoundel keinesfalls um einen Einzelfall handelt. Wie aus der von der ARI erstellten Broschüre »Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen - 1993 bis 1999« hervorgeht, verübten allein in Berlin seit 1993 acht Flüchtlinge aus Angst vor einer drohenden Abschiebung Selbstmord. Kaum jemand hat davon Notiz genommen. Als ein Beispiel für das geringe Interesse an der Aufklärung der Todesumstände wird der Tod eines Jugendlichen aus Bangladesh genannt, von dem nicht einmal der Name bekannt ist. Er wurde am 4.September 1996 auf dem Gelände der Clearingstelle genannten Aufnahmeeinrichtung für jugendliche Flüchtlinge tot aufgefunden. Obwohl nicht einmal einwandfrei geklärt werden konnte, aus welcher Etage er in den Tod stürzte, wurden die Ermittlungen von der Kriminalpolizei nach einer Woche mit der Begründung eingestellt, daß ein Fremdverschulden auszuschließen sei.

Welche Folge allein die Androhung einer baldigen Abschiebung auslösen kann, zeigt der Fall des bosnischen Flüchtlings Senad Becirovic. In panischer Angst vor der Zwangsrückführung nach Bosnien erhängte sich der 34jährige am 4. November 1996 in seiner Unterkunft. »Sie starben, weil sie bei uns nicht leben durften. So wie den Opfern des derzeitigen Naziterrors soll auch diesen Menschen Namen und Gesicht gegeben werden«, erklärte ein Mitglied der antirassistischen Initiative.

Peter Nowak

*** Dokumentation »Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen« - 1993 bis 1999 - 7. aktualisierte Auflage zu bestellen über: Antirassistische Initiative e.V. - Yorckstr. 59, 10965 Berlin, Telefon: 030/ 7857281. Fax: 030/7869984; Mail: ari@ipn.de

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