An den
Senator für Inneres
Herrn Eckart Werthebach
Persönlich
Berlin, den 07.04. 2000
Betr.:
- Hungerstreik ukrainischer Frauen in der Abschiebungshaft
- Minderjähriger Tamile ebenda
Sehr geehrter Herr Werthebach,
Wie Sie wissen, hat sich die Situation der hungerstreikenden Frauen im Abschiebungsgewahrsam Kruppstraße bedrohlich zugespitzt. Schon bei meinem Besuch der vier Frauen am 29. März war ich höchst beunruhigt und hatte Ihnen das in meinem Brief vom 30. März umgehend mitgeteilt.
Inzwischen ist die Lage viel schlimmer und besorgniserregender. Die Frauen nehmen seit nunmehr 48 bzw. 45 Tagen keine Nahrung zu sich. Ich finde das erschreckend, schwere und bleibende gesundheitliche Schäden sind zu befürchten, wenn nicht Schlimmeres. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, ist Frau Soja Schatz letzten Sonntag zusammengebrochen und stand am Rande der Bewußtlosigkeit. Dennoch hat Frau Schatz sich seit ein oder zwei Tagen entschlossen, auch in den Durststreik zu treten.
Geehrter Herr Werthebach,
Ich schreibe Ihnen nicht, um diesen Hungerstreik, gar den Durststreik zu rechtfertigen. Ich werde, wenn ich die betroffenen Frauen bei meinem Besuch am Dienstag noch antreffe, ihnen dringend raten, diese schweren Risiken für ihr Leben und ihre Gesundheit nicht weiter auf die Spitze zu treiben.
Ich meine aber auch, daß Sie die Härte und Unerbittlichkeit nicht auf die Spitze treiben sollten. Es darf Ihnen doch nicht gleichgültig sein, wenn Menschen, die in Ihrem "Gewahrsam"sind, bleibenden Schaden für Ihre Gesundheit nehmen, wenn es mittlerweile auch um Leben und Überleben geben kann.
Ich appelliere daher noch einmal in aller Dringlichkeit an Ihr moralisches Gewissen, an Ihr Verantwortungsgefühl und die Beachtung von Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit: Lassen Sie diese Frauen endlich frei! Geben Sie Ihnen wieder die Möglichkeit, sich mit angemeldetem Wohnsitz frei in unserer Stadt bewegen zu können. Es ist völlig unverhältnismäßig, die Gesundheit der Frauen deshalb aufs Spiel zu setzen, weil sie sich unerlaubt in diesem Land aufhalten sollen und weil Sie – seit Monaten - ihre Abschiebung vorbereiten. Dafür das grundgesetzlich garantierte Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aufs Spiel zu setzen, ist vollkommen inakzeptabel.
Geehrter Herr Werthebach,
Seit nunmehr drei Wochen befindet sich ein minderjähriger Tamile, Herr Kandan Rafi, in der Anstalt Kruppstraße. Ich hatte Sie ebenfalls in meinem Brief am 30. März auf diesen unhaltbaren Zustand hingewiesen und gebeten, den Jungen freizulassen. Wie Sie wissen, ist das DRK bereit, eine Überweisung von Kandan Ravi in eine Jugendbetreuung zu ermöglichen. Das DRK hat dazu einen Antrag auf Vormundschaft gestellt. Ich bitte Sie noch einmal, hierzu unverzüglich das Nötige zu veranlassen.
Die Zustände im Abschiebegewahrsam sind Anlaß zu großer Sorge. Ich werde daher gemeinsam mit der Bundestagsabgeordneten Claudia Roth und unserem Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Wieland am 11. April die Anstalt in der Kruppstraße besuchen. Einen entsprechenden Antrag leite ich Ihnen mit gleicher Post zu.
Ich bitte um Verständnis, wenn ich diesen Brief wegen des öffentlichen
Interesses auch der Presse übergebe.
Mit sehr ernsten Grüßen
Hartwig Berger, MdA