junge Welt Inland

12.04.2000
Roth: Inhaftierung beenden
Grüne Bundestagsabgeordnete besuchte hungerstreikende Ukrainerinnen im Abschiebegefängnis

Im Herbst letzten Jahres inhaftiert, seit mehr als anderthalb Monaten im Hungerstreik - die Situation von vier ukrainischen Frauen im Abschiebegefängnis Berlin-Moabit spitzt sich zu. Zwei von ihnen mußten am Montag in ein Haftkrankenhaus verlegt werden. Aber auch der Zustand der beiden anderen ist besorgniserregend, so Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), die die Hungerstreikenden am Dienstag besuchte.

Noch Ende letzter Woche hatte die Innenverwaltung behauptet, der Hungerstreik sei gar nicht ernst gemeint - die Frauen würden heimlich essen. Das war eine Unwahrheit, wie sich jetzt zeigte. Am Montag wurden zwei der Frauen in das Haftkrankenhaus Moabit verlegt, nachdem bei der Analyse des Blutbilds ein bedrohlicher Mineralstoffmangel festgestellt worden war. Die Frauen verweigern auch im Krankenhaus Infusionen.

Nach einem einstündigen Gespräch mit den Ukrainerinnen stellte Claudia Roth gegenüber der Presse fest, die Frauen seinen durch den mehrwöchigen Hungerstreik extrem geschwächt: »Es muß ganz schnell etwas passieren.« Die Situation sei lebensbedrohlich. Man müsse sich außerdem grundsätzlich fragen, so die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestags, ob Haft für diesen Personenkreis überhaupt gerechtfertigt sei. Ihnen werde nur vorgeworfen, sich unerlaubt in Deutschland aufzuhalten. Die Frauen, mit denen sie gesprochen habe, hätten ihr glaubhaft versichert, daß sie keineswegs obdachlos seien, sondern sich nach einer Freilassung regulär polizeilich anmelden könnten. Es gebe also keine Rechtfertigung für die monatelange Internierung.

»Aber wir müssen auch fragen: Ist eine Abschiebung überhaupt statthaft? Niemand hält einen Hungerstreik so lange durch, ohne tiefe Angst vor einer Rückkehr in die Heimat zu haben«, so Roth. Allerdings ist über den persönlichen Hintergrund der Frauen nur wenig bekannt. »Die Scham hindert sie zu sprechen«, meinte Roth und fügte hinzu: »Diese Frauen sind keine Verbrecherinnen, es sind Opfer.«

Bis heute ist unklar, ob und wann eine Abschiebung überhaupt durchgeführt werden kann. Die Ukraine habe in zwei Fällen bereits signalisiert, sie sei nicht bereit, Pässe auszustellen. Die Ukrainerinnen waren ausgereist, als die UdSSR noch existierte, und der neue Staat tut sich schwer damit, die Vielfalt der Ethnien in der Ukraine zu akzeptieren. »Es kann nicht angehen, daß die Hungerstreikenden unter der Haltung ihres Heimatstaates leiden sollen«, sagte Roth und forderte die Berliner Innenverwaltung auf, die Inhaftierung sofort zu beenden und zu prüfen, ob den Frauen ein humanitäres Bleiberecht eingeräumt werden kann.

Udo Casper

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